Christian Lippuner

Kritik über die Ausstellung > !Störung! < im Südkurier vom 10, Juni 2010-06-10

Jurierte Ausstellung des Markdorfer Kunstvereins in der Stadtgalerie

„Kunst muss stören“, schreibt Winfried Krämer, Vorstandsmitglied des Markdorfer Kunstvereins, im „Kulturmagazin Bodensee“. Sein Anspruch ist klar. Es ist der einer avancierten Ästhetik – einer modernen Kunst-Produktion, der, um das berühmte Rimbaud-Diktum zu zitieren, nichts anderes mehr übrig bleibt, als „absolut modern“ zu sein – mithin also durch technische, vor allem aber durch inhaltliche Neuerungen zu überraschen. Der Skandal scheint programmiert. Geht es seit dem 19. Jahrhundert doch um eines: das Stören eingeschliffener – oder lieb gewonnener Sehgewohnheiten.

Nun sagt Krämer aber noch etwas in seinem Hinweis auf die jüngste Ausstellung des Vereins in der Markdorfer Stadtgalerie: „... aber die Kunst zu stören ist nicht einfach.“ Mit oder – wie hier – ohne Komma, ein mehrdeutiger Satz. Je nach Blickwinkel meint er die Irritation der Kunst bzw. die Irritation durch die Kunst. Gleichviel, Krämer freut sich über eine gelungene Störung in den Markdorfer Ausstellungsräumen. Die Frage, welcher Art die von ihm gemeinte Störung ist, die beantwortet sich vielleicht beim Betrachten jener 55 ausgestellten Arbeiten. Werke, welche von 33 Künstlern eingesandt wurden und von einer dreiköpfigen Jury ausgewählt wurden.

Um es gleich zu sagen: Längst nicht alle Bilder, Skulpturen, Fotos kommen so nett harmlos daher wie Isabell Meyers collagierte Bilder-Rätsel „Ohne Titel 2010“. Sie nämlich klebte das Foto eines Fischs neben die Silbe „ung“. Womit das mit Kiemen ausgestattete Wirbeltier aus der Ordnung Schmelzschupper leicht als Stör identifiziert ist. Schon heftiger rätseln muss, wer Thomas Dirmanns „Zwei“ begreifen will. Die flache, offen mit der Kettensäge aus dem Eichenblock gefräste Skulptur zeigt nur von vorne zwei Bretter, deren eines das andere ein Stück überlagert. Abgesehen von den Spannungsbögen zwischen Maserung, Schnitten und Abrissen, abgesehen vom Spiel mit Fläche und Körper, zeigt sich – beim Betrachten von hinten, dass das vermeintliche Paar aus einem Block gearbeitet wurde. Sodass die produktive Idee des Bildhauers den ersten Eindruck der Rezeption als Täuschung erweist.

Eine lehrreiche Erfahrung – gewiss, aber längst noch keine verstörende, die das Sehen überdenken ließe. Gründlicher im Sinne des Ausstellungs-Titels geht Christian Lippuner zu Werk. Seine „urbanistische fehlplanung“ und sein „abgeschoben aus unserem Netzwerk“, beides Arbeiten in Öl/Acryl auf Leinwand wecken ebenfalls Neugier, reizen zum genaueren Hinschauen. Dies durchs schier undurchdringliche Geflecht ihrer vielfach gekreuzten Linien. Bunt sind diese Vorstadt-Muster, dennoch bedrücken sie durch ihre Enge. Lippuner gelang da tatsächlich eine Art abstrakter Piranesi-Phantasie aus Google-Earth-Perspektive.

Störungen formaler wie auch inhaltlicher Art lassen sich immer wieder entdecken in dieser Ausstellung. Hier durchbricht Herbert Arbogast das Raster seines schwarz-weiß angelegten Würfelmusters, dort zeigt Alicja Kosnider-Feist das Mit- oder Nebeneinander eines Paares als gestörtes. Wirklich aufwühlend aber wirkt kaum eine Arbeit. Am ehesten noch Stephen Kass' „Kollision 2010“ – eine gestisch gestaltete Collage, die lineare und runde Flächen ebenso aufeinanderprallen lässt wie grafisch bzw. malerisch gestaltete. Überdies stört sie das eingeschliffene Wahrnehmungsmuster. Weiß der Betrachter doch nicht, ob er vor einem Bild oder einer Skulptur steht. Nachhaltig stören wird ihn das kaum. Aber das ist bereits eine Menge in unsren post-modern gewordenen Zeiten.