Christian Lippuner

Galerie Veith Kreuzlingen

Fehlen und Hingabe

Laudator: János Stefan Buchwardt

Für dieses Mal ein Heimspiel. Christian Lippuner wohnt fast um die Ecke. Inzwischen und vielleicht nur insgeheim darf er längst als waschechter Thurgauer Künstler gelten, auch wenn sein Geburtsort Grabs im Rheintal liegt, auch wenn er im Fürstentum Liechtenstein aufgewachsen ist und sich ursprünglich zum Grafiker, eidgenössisch diplomiert, an der Kunstgewerbeschule in St. Gallen hat ausbilden lassen. Die Vielfältigkeit der Räume hier in der Galerie Veith in der Grenzstadt Kreuzlingen, die Winkel, Ecken und diversen Schaufenster bringen es mit sich, für einmal, mehr als sonst, gerade auch die Bandbreite seines Werks zu präsentieren. Uns werden Ausformungen gezeigt, selbstverständlich auch zum Erwerb angeboten, die exemplarisch ein Panorama bieten, nahezu das Gesamtbild eines künstlerischen Tuns dokumentieren.

Als langjähriger Beobachter und Begleiter darf ich sagen: Christian Lippuner ist an seiner Kunst gereift und sie an ihm. Natürlich ist er mit Erfolg, Ansehen und Verdienst beschäftigt, aber im Schaffensprozess ist ihm Hingebung an sein Werk zum eigentlichen Lebenselixier geworden. Natürlich hat er Rückschläge erlitten, auch gesundheitlicher Art, Sinnkrisen, Unterbrüche im Erdenken und Erschaffen. Doch wenn wir sein Credo lesen, nachzulesen auf seiner Homepage, dann berührt er uns gehobenen Mutes: «Neben grossformatigen Gesten», heisst es da, «sind mir fein ausgearbeitete Ziselierungen wichtig. Es geht um das Verfangensein in bedrohlich gewordenen Flechtwerken. Wo ich vor wuchernder Urbanisierung, vor dem Abgrund politischer Irrwege und einem Verlorensein in virtueller oder digitaler Hingabe warne, da möchte ich philosophisch reich und allegorisch bunt visualisieren und stets lachend sagen können: Guten Morgen, Hoffnung!»

Berührend drückt Lippuner das aus. Darf er sich nicht glücklich schätzen, für uns nachhaltige Kunst zu machen? Nachhaltig, das klingt abgegriffen, zugegebenermassen. Anrührend? Das wäre zu schwach. Vielleicht finden Sie das richtige Wort. Natürlich, Christian Lippuner kennt auch das vergebliche Ringen, wie manch eine andere Künstlerperson. Er weiss, wie Zurückstecken geht. Er weiss um das Verlustige in unserem Alltag, das Fehlen an sich und in unseren Gebärden. Hingabe ist eine Kunst, die noch lange nicht Erfolg bedeutet, in jedem Fall aber, das sei gerne festgehalten, glücklich machen kann. Anerkennung, Belohnung und Fortschritt sind nur ein Teil dessen, was zufriedenstellt. Der Wunsch, stets gewinnend sein zu können, politisch korrekt aufzutreten, immer zielgerade die richtigen Wege einzuschlagen, ist Irrweg, wenn nicht sogar Illusion. Über die Visualisierungen und Visionen Lippuners lässt sich Freundschaft mit dem redlichen Bemühen um eine bessere Welt schliessen. Und Freundschaften rufen, es soll aus Gottfried Kellers Feder stammen, zum Dienen, nicht zum Rechnen auf.

Konkret: Christian Lippuner wirft Schlaglichter auf Verfassungen unseres Daseins, innere wie äussere. Er spricht also vom Innenliegenden, das nach aussen wächst, und umgekehrt. Er übt Kritik an stadt- und landplanerischen Konstrukten. Er will dem Frieden im Augenblick nachspüren. Es gelingt ihm, Verstandeskräfte zu verkörpern, dem Irrealen und dem Unterbewusstsein auf die Spur zu kommen. Seine Bilder sind immer wieder auch metaphysische Rätsel und Enträtselungen. Seine schemenhaften Wesen stellen sich der Überwindung von Endzeiten. Autark und verletzlich zugleich äussern sie eine Sehnsucht nach ursprünglicher Seinsverbundenheit. Lippuner zeigt Engpässe und Weiten, schliesslich ein Umwundensein, das sowohl verängstigt als auch kontemplativ gefasst und aufgefasst werden kann. Ein schwebender Sprenkel, der das Blau der Seen und Meere in sich vereint, wird bei ihm zum gleitenden Funken lebensspendender Prinzipien. Schönheit gebiert Neues und zersetzt sich im selben Moment. Lacht das grinsende Smiley uns nun an oder aus, wenn es Zeugnis davon ablegt, dass wir uns womöglich in einem unkontrollierbaren Mix aus On- und Offlinevarianten verlieren?

Das alles klingt komplex, spielt mit Poetischem, visiert Abstraktes an, erzählt vom Verprassen und Verpassen, vom Scheitern und von Fehlschlägen. Unterschwellig, in der Titelgebung oftmals höchst augenfällig, will es gesellschaftspolitisch, aber auch innerseelisch aufrütteln. Gleichzeitig weiss es um alte humane Prinzipien: sich nämlich auch jenem und jenen hinzugeben, mit dem, mit denen wir hadern und was und die wir ablehnen. Lippuner weiss: Wir können nur mit dem, was ist, umgehen. Es auf künstlerische Art und Weise, es gegenwärtig, ausgewogen und menschlich zu tun, mit der richtigen Nähe, dem richtigen Abstand und trotz aller Gebrechen und Aversionen, dafür scheint er mir ein regelrechtes Paradebeispiel. In seiner Kunst liegt seine Präsenz. Und aus seiner Geistesgegenwart, aber auch aus überlegter Distanzierung heraus entsteht sie, seine Kunst. Im konstruktiven Wahr- nehmen seiner und unser selbst, ja, in der Jetztzeit liegt Christian Lippuners vornehmste Aufgabe. Herzlichen Dank ihm, der für uns da ist, und ihnen allen, die für ihn hierher gekommen sind.

János Stefan Buchwardt | www.jstb.ch | 2. September 2018